المحاصصة

Karikatur zur muḥaṣaṣa, Abb.: iraqhouseinstitute.com

Ein System sorgt im Irak seit 2003 für massive Probleme, die muḥâṣaṣa (محاصصة), arabisch für „Zuteilung“ oder „Quoten-System“. Massaab al-Aloosi schrieb darüber für das Arab Gulf States Institute in Washington eine kurze Abhandlung, die Shafaq News am 16.11.2022 veröffentlichte.

Entwickelt wurde es in den frühen 1990er Jahren von im Exil lebenden irakischen Oppositionspolitikern. Mit dem Quotensystem sollten die politischen Positionen den ethno-konfessionellen Hauptgruppen des Iraks, den  Šîʽiten, Kurden und Sunniten, auf der Grund­lage einer geschätzten (!) Volkszählung verhältnismäßig zugeteilt werden, um die Vertretung dieser Gruppen in der irakischen Regierung sicherzustellen.

Nach der US-geführten Invasion von 2003 diente dieses Quoten-System als Basis für den zu erstellenden Regierenden Rat (Governing Council), der aus den sieben größeren irakischen politischen Parteien bestand, die an der ursprünglichen Verein­ba­rung von 1992 beteiligt gewesen waren

Die anschließend genehmigte irakische Verfassung enthält selbst keinen Bezug auf die muḥâṣaṣa, diese gilt jedoch als still­schweigend vereinbarte Grundlage, nach ihr wird seither verfahren. Auch der gegenwärtige Staatsaufbau folgt diesem Schema, wonach seither das Amt des Staatspräsidenten mit einem Kurden, das des Premierministers (der bedeutendsten Position im Irak) mit einem Šîʽiten, und das des Parlamentspräsidenten mit einem Sunniten zu besetzen wird. Doch auch die Zuweisung der Ministerien im Kabinett ist der muḥâṣaṣa unterworfen wie der Rest der irakischen Bürokratie.

Das implementierte System fördert jedoch unvermeidlich Korruption.

Ein Ministerium, das damit einer bestimmten politischen Partei zugewiesen ist, wird als privater Bereich behandelt, der zugunsten der Partei und nicht des Landes genutzt wird.

Der Korruptionsprozeß verlaufe dann folgendermaßen: Geschäftsleute, die der politischen Partei nahe stehen, die das Ministerium zugeteilt bekommen hat, erhalten Verträge, treiben die Kosten künstlich in die Höhe und teilen schließlich die Gewinne mit der politischen Partei. Eines der hervorste­chend­sten Beispiele in dieser Hinsicht sei das Gesundheits­ministerium gewesen, das seit einigen Jahren von Anhängern des ṣîʽitischen Klerikers Muqtadâ aṣ-Ṣadr (!) dominiert wurde, worauf sich das Gesundheitssystem infolge der Korruption verschlechtert habe. Es verwundert damit nicht, daß es um den Dienstleistungssektor und anderes im Irak so schlecht bestellt ist, daß es die Bevölkerung zu Protesten auf die Straße gezwungen hat und das Vertrauen in die Beamtenschaft erodierte. Da das Quoten-System aber die gesamte Bürokratie durchdringe, gelte der Grundsatz, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Weitere nach dem muḥâṣaṣa-Prinzip vergebene Posten sind etwa die von Botschaftern bis zu Militär­kom­man­deuren oder stellvertretenden Ministern. Diese als „Sonderbesoldungs­grup­pen“ bezeichneten Ämter werden nach den Sitzen verteilt, die die jeweiligen Parteien proporzmäßig bei den Parlamentswahlen gewinnen. Die Posten werden demnach an parteitreue Mitglieder ohne Rücksicht auf deren Qualifikation oder Erfahrung vergeben und trotz Nichterfüllung der gesetzlichen Anforderungen. Diese rund 5.000 Stellen sind wegen ihrer längeren Amtszeit oft noch begehrter als Minister­posten. Loyale Parteimitglieder, die solche Positionen innerhalb der Bürokratie einneh­men, besonders als Entscheidungsträger, stellen sicher, daß Ressourcen von Ministerien und staatlichen Institutionen zu ihren Gönnern fließen. Sie dienen auch als Engstellen, die Ver­träge blockieren, wenn sie den Betroffenen nicht nützen.

Die muḥâṣaṣa schafft also auch eine Abhängigkeit der Wählerschaft von den politischen Parteien. 40% der erwerbs­tätigen Bevölkerung würden von der Regierung beschäftigt, bräuchten demnach politische Unterstützung für ihren Job.

Vor allem sei das Quotensystem auch für einen aufgeblähten Staatsapparat verantwortlich.

Die Leistungen für treue Parteimitglieder gehen über reguläre Beschäftigung hinaus. 300.000 Beschäftigte im öffentlichen Sektor seien „Geisterarbeiter“, teilte ein ehemaliger Finanz­minister 2021 mit. Einige Parteimitglieder erhielten demnach Gehälter, ohne zu arbeiten. Schätzungsweise existierten z.B. mehr als 400 Frauen die Pensionen für hohe militärische Ränge erhielten, die nie beim Militär gedient hätten.

Durch dieses System wird das Leitungsgremium mit dem Premierminister an der Spitze gelähmt, da die Ministerien die Diktate der politischen Parteien, die die Kontrolle ausüben, beherzigten und nicht auf Dekrete der Regierungsspitze oder auch nur ministerielle Vorschriften achteten.

(https://shafaq.com/en/Iraq-News/With-Iraq-s-Quota-System-the-New-Government-is-More-of-the-Same)

Die muḥâṣaṣa stellt sich also als Grundproblem für die Reformen im Irak dar, die Pre­mier­minister as-Sûdânî angehen will.