Getroffen hat es einen österreichischen Arzt. Es könnte aber ebenso jeden anderen Ausländer treffen, der sich – sei es für einen Urlaub, sei es beruflich – in solch einem muslimischen Land aufhält. Da kann man – ohne sich einer Schuld überhaupt bewußt zu sein – unversehens vor Gericht wiederfinden und macht gezwungenermaßen Bekanntschaft mit den besonderen Eigenheiten des islamischen Rechtswesens dieses Landes.

Leider handelt es sich bei den Erlebnissen von Dr. Eugen Adelsmayr, welche im Herbst 2012 als Buch (vgl.u.) editiert wurden, auch nicht um einen Einzelfall, sondern es zeigt sich ein gewisses Muster.

Den Anästhesisten und Intensivmediziner Dr. Adelsmayr erwartet eine lebenslange Haft in Dubai, eventuell aber sogar die Todesstrafe. Wofür?

Nach Anstellungen in Kitzbühel und Innsbruck nahm er 2004 wegen seiner Begeisterung für den Nahen Orient und Nordafrika, wohin ihn ein früheer Marokko-Urlaub während seiner Studentenzeit geführt hatte, ein vierwöchiges Internet-Arbeitsangebot in Abu Dhabi (Abū Ẓabī) an und war danach noch einmal als Oberarzt 2005/2006 dort tätig. 2006 erhielt er dann die Offerte einer renommierten großen Klinik aus Dubai.

Bekanntlich vergällen die ständigen Einsparungen im Gesundheitswesen wie unzuträgliche Arbeitszeiten etc. nicht nur bundesdeutschen sondern auch österreichischen Ärzten oft den Dienst in der Heimat. In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) dagegen lockten den Mediziner die fantastischen Arbeitsbedingungen wie die beeindruckenden Möglichkeiten der finanziellen und damit materiellen Ausstattung am Rashid Hospital. Zudem sollte er am Rashid Hospital Trauma Center eine Surgical Intensive Care Unit aufbauen und deren Leiter werden – für den Arzt eine großartige berufliche Chance! Nach Fertigstellung betreute er darin über 120.000 Notfallpatienten jährlich, darunter etliche Scheichs und andere Prominenz. Allerdings sei der Patientenkontakt deutlich seltener als zuhause in Österreich gewesen, in Dubai habe der Alltag zu 80% aus administrativer Arbeit bestanden.

Verständlicherweise liegen nun in einem Traumazentrum auf der Intensivmedizin Schwerverletzte, also alles andere als „leichte Fälle“. Daher sterben dort auch häufiger Patienten als auf anderen Stationen. Wöchentlich habe es einen solchen Fall gegeben bei einer Sterblichkeitsrate von 10-15%. Dank der Möglichkeiten vor Ort war der geborene Innviertler jedoch sogar stolz darauf, daß bei solch schlimmen Fällen so viele Patienten überhaupt hatten gerettet werden können.

Diese Tatsache verstimmte wohl zwei seiner einheimischen Kollegen, welche bei einer Mitarbeiterbewertung offenbar nicht die erhoffte Beurteilung durch den ungläubigen Ausländer erhalten hatten. Laut Dr. Adelsmayr trugen sie ihm dies nach, neideten ihm die hervorgehobene Stellung wie seine Erfolge und hatten zudem ebenfalls ein Auge auf seinen leitenden Posten geworfen. Zudem habe in den Emiraten eine rücksichtslose Hackordnung vorgeherrscht: „Jeder Emirati ein VIP, Amerikaner und Briten hoch oben, Paki­stani, Afghanen, Nepalesen ganz unten. Die Mitteleuropäer irgendwo dazwischen“ schreibt er im Buch. Es ist von „Hickhack“ und „Kleinkrieg“ die Rede, weshalb der Österreicher Anfang 2009 eine Kündigung ins Auge faßt.

Einer seiner ehemaligen Kollegen, Dr. Yasser Masri, geht jedoch in seiner Karriereplanung so weit, daß er ihn wie einen indischen Arzt brieflich der unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge sowie der Tötung durch zu hohe Morphinverabreichung an einen Pakistani bezichtigt. Zudem soll Dr. Adelsmayr angeordnet haben, der Patient sei im Falle eines Herzstillstandes nicht wiederzubeleben. Jedoch verhielt es sich gerade umgekehrt: Einerseits war der Leiter der Surgical Intensive Care Unit zu jenem Zeitpunkt, als es bei dem in Rede stehenden, bereits ab dem Halswirbelbereich Gelähmten mit schwerer Rückenmarksverletzung zu einem Kreislaufstillstand kam, schon seit 36 Stunden außer Dienst und andererseits war es gerade der Chef gewesen, der sich bei der Klinikverwaltung und noch eine Stufe höher sehr unbeliebt gemacht hatte, indem er bei der – von einem Bruder des Herrschers geleiteten – Gesundheitsbehörde die in den VAE illegale „Nicht-Wiederbeleben-Richtlinie“ der Klinik aufgedeckt und angezeigt hatte. Der zufolge durfte bei bestimmten Krank­heiten oder Verletzungen nicht reanimiert werden. „Im Krankenhaus“ erklärte Dr. Adelsmayr im Gespräch mit der „Presse“ , „haben sie nach einer ungenauen Hirntod-Diagnostik die Maschinen abgedreht und zig-fach Mord begangen, dabei waren die Patienten oft nicht einmal hirn­tot.“

Diese schriftliche Regelung war jedoch – Überraschung! – bis zum Prozeß, auch aus dem Klinik-Intranet, verschwunden. Jedoch besaß Dr. Adelsmayr noch ein Exemplar davon und auch die Krankenhausleitung versandte im Oktober 2009 ein Mitarbeiter-Rundschreiben, indem sie die angeblich nicht existierende Order für ungültig erklärte.

In der falschen Sicherheit, daß sich die Verleumdungen gegen ihn schnell als solche herausstellen müßten, ist der Arzt schockiert, daß ihm nach für ihn positiv ausgegangener Untersuchung des Falls durch das „Higher Commitee for Medical Liability“ (HCML), die höchste medizinische Instanz der VAE – die Ärzte­lizenz entzogen, er vom neuen Arbeitgeber, dem „Institut für Anästhesie und Intensivmedizin“ am Al-Ain-Hospital in Al-Ain, als Leiter suspendiert und dann noch bei der ersten polizeilichen Vernehmung 2010 sein Paß einbehalten wird. Inzwischen war Dr. Yasser Masri nämlich zur Anzeige geschritten.

Auch neu und überraschend für den Intensivmediziner war, daß in Dubai offenbar ein jeglicher Kunstfehler gleich zu einem Strafprozeß führt. Immer noch wägt sich der Anästhesist aber in Sicherheit, da er davon ausgeht, daß sich in einem rechtsstaatlichen Prozeß sehr schnell die Wahrheit erweisen werde. Doch statt Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsprinzip herrschte dort vor Gericht seiner Beschreibung nach nur reinste Willkür. Auch fehlten plötzlich wichtige Unterlagen, mit denen man vor Gericht die lügnerischen Zeugenaussagen hätte entkräften können. Widersprüche in der Übersetzung machen es zudem schwer, sich vor Gericht zu behaupten. Während des Prozesses erreicht Dr. Adelsmayr dann die schlimme Nachricht, seine Frau in Bad Ischl sei schwer an Krebs erkrankt. Aus „humanitären Gründen“ wird ihm nach zähen Verhandlungen der österreichischen Auslandsvertretung ein zweiwöchiger Aufenthalt bei seiner Frau erlaubt. Für Dr. Adelsmayr kommt danach dennoch nur die Rückreise mit Prozeßfortsetzung in Frage. In einem Interview vom Oktober 2011 sagt er dazu: „Mein Leben ist zerstört. Meine Frau ist todkrank, die Anwaltskosten fressen meine Ersparnisse auf. Ich muss beweisen, dass ich unschuldig bin, diese Leute haben mir alles genommen. Durch einen haltlosen Vorwurf. Sie dürfen nicht siegen!“ Weihnachten kann er wieder mit seiner Familie verbringen. Leider hat sich die Krebserkrankung drastisch verschlimmert und die geliebte Ehefrau Antonia stirbt im Januar 2012 im Alter von 55 Jahren. Die beiden Söhne brauchen jetzt den Vater und umgekehrt. Eine erneute Ausreise nach Dubai kommt unter diesen Umständen nicht mehr in Frage.

Inzwischen läuft der Mordprozeß in den VAE weiter bis Mitte Dezember 2012 das schriftliche Urteil aus Dubai zugestellt wird: Wegen Mitschuld am Tod des Patienten wurde darin auf lebenslange Haft erkannt. Für eine Berufung müßte der Verurteilte vor Ort auftreten, doch dorthin will der 53-jährige Witwer nicht mehr. Durch eine mögliche Berufung der Staatsanwaltschaft könnte es jedoch auch noch zur Verhängung der Todesstrafe kommen.

Seit der Mediziner wieder in Salzburg an einer Privatklinik praktiziert – drei Gutachten der österreichischen Ärztekammer hatten ihn entlastet – und seinen Fall per Buch publik gemacht hat, ist er zur Anlaufstelle vieler anderer Leidensgenossen geworden, die ihm ihre ganz ähnlichen Erfahrungen in muslimischen Ländern geschildert haben und damit deutlich zeigen, daß es sich hier keineswegs mehr um Einzelfälle handeln kann. Nochmals aus einem Interview mit News.AT vom 27.12.2012 über das Verfahren: „ … es ist eine Farce. Der Richter begründet das Urteil schriftlich damit, dass von all dem Entlastenden nichts berücksichtigt werden konnte, weil ich nicht dort war. Er bräuchte das Entlastende gar nicht zu be­rücksichtigen, er bräuchte nur das gefälschte Belastende zu berücksichtigen und es bliebe nichts mehr übrig. Das Urteil ist so absurd und weit weg von irgendeinem Rechtsverständnis, dass es kaum noch ernst zu nehmen ist.“ Dennoch hängt über dem Arzt das Damoklesschwert eines möglichen internationalen Haftbefehls. Dann könnte er jederzeit im Ausland verhaftet und das Urteil an ihm vollzogen werden.

Gefragt, was er heute abenteuer- und reiselustigen Kollegen wie auch Vertretern anderer Berufsgruppen raten würde, erwiderte er gegenüber NEWS.AT: „Mittlerweile würde ich jedem dringend abraten.“

Der ganze Fall ist nachzulesen in dem Buch: Eugen Adelsmayr: Von einem, der auszog, Wien 2012.

Epilog zum klassischen islamischen Prozeßrecht, das trotz westlicher Einflüsse seit der Kolonialära in besonders „konservativen“ islamischen Ländern noch immer von Bedeutung ist:

Es erkennt z.B. zur Sachverhaltsermittlung fast nur Zeugen- kaum Sachbeweise oder Indizien an. Daher spielt es eine umso größere Rolle, daß das Zeugnis von Nichtmuslimen nicht als vollwertig gilt, insbesondere ist das gegenüber als unbescholten (‘adl) eingestuften Muslimen so.

Ein Urgestein ernsthafter Islamwissenschaft urteilte sogar: „Das Zeugnis von Ungläubigen ist per se wertlos!“ (Juynboll, S.318). Recht gilt ihm nach einem Jahrhundert die fatwâ von Ende 2010 des Scheichs Ya’qub al-Bahseen, eines Mitglieds des Vorstands der Religionsge­lehr­ten Saudi-Arabiens. Demnach dürfe nur im Notfall – z.B. wenn kein Muslim zur Verfügung stehe – das Zeugnis eines Nichtmuslims überhaupt angenommen werden.

Vgl. zur Thematik, die einige unserem Rechtsverständnis völlig zuwider laufende Bestimmungen enthält, z.B. Theodor Willem Juynboll: Handbuch des Islamischen Gesetzes …, Leiden/Leipzig, 1910.

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