Die Muslima zwischen Schwangerschaftsabbruch als „Verhütungsform“ und Spontanabbort als Mord

Ein absichtlich herbeigeführter Schwangerschaftsabbruch ist nach Islamischem Recht (abgek.: I.R., arab.: fiqh) grundsätzlich – d.h. mit Ausnahme der Fristenregelung (s.u.)  – ein strafwürdiger Mord. Er fällt damit in die Kategorie der wider­rechtlichen Hand­lungen gegen Leib und Leben, welche den Geschädigten bzw. dessen walî ad-dam, d.i. der näch­ste nach I.R. zur Blutrache bevollmächtigte Angehörige, zur Wieder­ver­geltung (qiṣâṣ, im Falle des Aborts ausge­schlossen) bzw. zur Einforderung des Süh­negeldes (diya) berechtigen. Die Höhe der diya hängt dabei u.a. auch von der Wertigkeit des Geschädigten ab. So bemißt sich die diya für einen weib­li­chen Fötus nur auf die Hälfte eines männlichen, die eines Fötus von christlichen oder jüdischen Eltern nur auf ein Drit­tel dessen, was für ein Kind muslimischer Eltern zu zahlen wäre, die eines Fötus parsischer Eltern (Zorostrier) auf ein Fünfzehntel – sofern letztere drei Beispiele gottgläubiger Eltern den ḏimmîûn-Status innehatten bzw. es sich nicht um Föten von Apostaten handelte – etc. (für getötete Sklaven dagegen ist man nur dem Besitzer gegenüber schadensersatzpflichtig (gewesen)).

Straffällig ist demnach auch die Mutter eines Embryos oder Fötus`, sofern sie den Abort verursacht hat. Ab diesem Punkt wird es für die Muslima brenzlig. Wird im klassischen I.R. noch der Schwangeren als eine solche Verur­sachung z.B. absichtliches Fasten (selbst im Ramaḍân!) zur Last gelegt, nicht aber die Einnahme einer notwendigen Medizin (welche im Nebeneffekt zum Abort führt), so sieht der an der Azhar ausgebil­dete faqîh (isl. Rechtsge­lehrte) ʽAbdu_l-Qadîm Zallûm (1924-2003) die Verant­wortlichkeit der Schwan­geren schon wesentlich weiter gefaßt, s. http://www.way-to-allah.com/the­men/Abtreibung.html.

Danach scheint es, als werde der Frau jeder Abgang als strafwürdige Abtreibung angelastet, sofern dieser nach dem Zeitpunkt der „Einhauchung der Seele“ erfolgt ist, welche aufgrund von Ḥadîṯen auf den 40. bzw. 42. Tag der Schwangerschaft (nach der ḥanafitischen Rechtsschule und heutiger Sicht auf den 120. Tag) festgelegt wird. Als Verursachung gelten ihm „zu schweres Heben“ und „heftige Bewegung der Frau“. (Eine Ausnahme macht Zallûm nur, wenn nach fachkundiger ärztlicher Mei­nung „die Austra­gung des Embryos im Leib der Mutter zu ihrem und damit auch dem Tod des Babys führen würde“, eine Ent­scheidung, die – zurückgehend auf ein Ḥadîṯ – dem klassischen Gelehrten­konsens entspricht. Als Grund führt der bekannte Prediger Yûsuf al-Qaraḍâwî in seinem Buch “The Lawful and the Prohibited in Islam” an, eine Ehe­frau habe in der Familie viele Pflichten und Aufga­ben und sei daher schwierig zu ersetzen, wohin­gegen sie noch viele andere Kinder bekom­men könne). Demgegenüber gilt manch liberalerem (besonders ḥanafitischem) faqîh eine regelrechte Abtreibung vor der „Beseelung“ noch als eine Art Verhütung.

In fundamentalistischen Systemen, Zallûm war selbst ab Dezember 1977 bis zu seinem Tod  amîru_l-ḥizbu_t-taḥrîr – also Führer der sog. Islamischen Befreiungspartei, wäre damit ein weites Feld dafür geöff­net, Aborte, welche ja aus den verschieden­sten Gründen – u.a. bei höherem Alter des zeugenden Va­ters, was in islamischen Ländern keine Seltenheit darstellt – auch ohne Zutun der Frau spontan erfol­gen können, dieser schuldhaft zuzurechnen, indem sie einer „zu heftigen Bewegung“ bezichtigt wird. Gerade für vorgeblich zu westlich lebende oder (system-)kritisch auftretende Frauen könnte dieser Vorwurf  dann zum Verhängnis (gemacht) werden.

Mit seiner Einstellung gehört Zallûm wohl nach Dr. med. Ibrahim B. Syed zu den “Some contem­porary voices speak out fully against abortion, arguing that Islam is granted strength through multi­tudes of children”(d.i. zu den gegenwärtig sich gänzlich gegen den Schwangerschaftsabbruch aus­sprechenden Stimmen mit der Begründung, daß die Stärke des Islam durch Scharen von Kindern gewährleistet werde). Zudem stellt der Arzt Syed fest, daß „modern-day legal scholars judge more conservatively than the authors of the early Islamic legal texts”(heutige islamische Rechtsgelehrte kon­servativer urteilten als die Autoren der frühen Rechtstexte), also – trotz der Existenz von Frauen­rechtlern auch in der islamischen Welt – zunehmend strengere Auffassungen vertreten würden.

Literatur: T. W. Juynboll: „Handbuch des Islamischen Gesetzes …“, Leiden/Leipzig, 1910, S.290ff. Eduard Sachau: Muhammedanisches Recht …, Stuttgart 1897, S.759ff. http://www.onmeda.de/ratgeber/schwangerschaft/krankheiten/fehlgeburt.htmlhttp://www.islamawareness.net/FamilyPlanning/Abortion/abortion3.html

Informationen zu Ḥizbu_t-Taḥrîr auch auf S.43 des Verfassungsschutzberichts von Baden-Württemberg von 2004.

 

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Der sog. IS befördert – islamkonform? – Abtreibungen bei „Sklavinnen“

Daß die IS-Terroristen während ihrer Eroberungszüge Frauen und Kinder gefangennehmen und als Sklaven verkaufen, ist bereits vielfach thematisiert worden – teils im Beitrag über den Irak bzw. denjenigen über Syrien Teil III.

Zugleich steigt auch die Beschaffung von oralen oder per Injektion verabreichbaren Verhütungsmitteln sowie der „Pille danach“ seitens der Terrororganisation wie die New York Times mitteilt und von wieder befreiten, zuvor vom IS versklavten und mißbrauchten Jesidinnen erfahren hat.

Die Tatsache liegt in praktischen Erwägungen der Menschenhändler begründet, die zudem ja – wie die Benennung Islamischer Staat schon aussagt – eine Theokratie nach Regeln des klassischen Islam schaffen wollen. Hinderlich ist hierbei eine – ansonsten als Ergebnis des Geschlechtsverkehrs ganz allgemein erwünschte* – Schwangerschaft der Sklavin, da diese als umm walad (d.i. Kindsmutter, also Schwangere) vor Weiterveräußerung durch das – niemals abgeschaffte! – klassische Islamische Recht (I.R., fiqh, gewöhnlich als šarîʽa bezeichnet) geschützt ist (s.u.). Ein Ḥadîṯ (ṣaḥîḥ Muslim, Buch.8, Nr.3371) gibt zudem darüber Auskunft, daß sich schon zu Muḥammads Zeiten die Muslime nach ihren Raubzügen Gedanken über die „Entwertung“ ihrer menschlichen Beute durch sexuellen Verkehr mit ihr machten – einer möglichen Schwangerschaft wurde dabei via coitus interruptus (arab.: `azl, ebda., Nr.3371ff) vorgebeugt. Andererseits verbot Muḥammad laut einem weiteren Ḥadîṯ den sexuellen Kontakt mit schwangeren weiblichen Gefangenen (s. ṣaḥîḥ Muslim, Buch 8, Nr.3389f; der Ausdruck hieß: „fremde Saat mit seinem Wasser zu begiessen„).

Insofern wundert es nicht, daß sich auch die Terroristen des IS Gedanken darüber machten, wie am besten die Schwangerschaft bei den von ihnen versklavten Frauen und Mädchen zu verhindern sei. Daß sogar – im westlichen Sinne wie nach den Vorschriften moderner, also nicht aller muslimischer Staaten – Minderjährige** als Sexsklavinnen verkauft werden, liegt an der islamischen Ehefähigkeitsbestimmung, die traditionell mit der Geschlechtsreife einhergeht (laut Juynboll und Sachau, s. Literatur). Mit Bezugnahme auf Muḥammads jüngste Ehefrau ‘Ā’isha (Aischa), die er in diesem Alter heiratete, wurde als unterste Grenze neun Jahre beim weiblichen Part festgelegt (loc. cit.).

Inzwischen wieder befreite, seit August 2014 zu Tausenden in Gefangenschaft des IS geratene Jesidinnen berichteten von verschiedenen Methoden, die die Extremisten zur Vermeidung der Schwanger­schaft anwandten. Bemerkenswerterweise wurden Sklavinnen von führenden IS-Kommandeuren öfter Verhü­tungspillen verabreicht als denen einfacher Kämpfer. Letztere wußten vermutlich weniger Bescheid. Zur Verhütung kamen Antibabypillen und Injektionen zum Einsatz, bisweilen beides, erzähl­ten die Jesidinnen. Zumindest ein Fall wurde bekannt, in dem eine Frau zu einer Abtreibung gezwungen wurde, um weiter als Sex-Sklavin zur Verfügung stehen zu können.

Doch auch vor (versuchten) Schwangerschaftsabrüchen durch die Vergabe von [Verhütungs-?] Pillen schreckten die IS-Anhänger nicht zurück. Z.B. sei die bereits schwangere 20-jährige Schwester eines Interviewten namens ʽAbdal ʽAlî (Abdal Ali) gezwungen worden, Pillen zu schlucken, um einen Abort herbeizuführen. Dem habe sie aber entgegengenwirkt: „She hid them under her tongue, and then when they weren’t looking, she spit them out.”

Laut Mitteilung von Dr. Nezar Ismet Taib, dem zuständigen leitenden Amtsarzt der Provinz (Dahûk, engl. Dohuk), der auch die Klinik betreut, in welche die solchermaßen mißbrauchten jesidischen Opfer des IS gebracht worden sind, ist die dermaßen niedrige Schwangerschaftsrate unter den weiblichen Gefangenen des IS nur auf diese Weise zu erklären.

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* Die Ehe ist nämlich empfehlenswert, um vor Unzucht zu schützen und der Fort­pflanzung wegen (Sachau, 1897, II, S.23 = Anm. zu §1). S.a. das Ḥadîṯ: „Heiratet und vermehrt euch, denn am Jüngsten Tag will ich vor den übrigen Völkern Staat machen mit euch, sogar mit der Frühgeburt“ aus der Übersetzung von al-Ġazâlîs Abhandlung: Kitâb âdâbi n-nikâḥ, d.h. „Buch des rechten Benehmens in der Ehe“ durch Hans Bauer, S.5.

** Zur Problematik der „Kindsbraut“ in islamischen Gesellschaften s. beispielsweise  www.alarabiya.net/articles/2010/01/28/98681.html, http://www.alarabiya.net/artic­les/2010/04/09/105428.html, www.alarabiya.net/articles/2010/02/02/99110.html, http://www.alarabiya.net/articles/2009/10/16/88294.html, www.alarabiya.net/articles/2005/02/22/10608.html; je eine fatwâ hierzu bieten www.youtube.com/watch?v=vaQ-n0FJ-F8 sowie http://de.nntp2http.com/talk/liebesakt/2005/01/ce92629338375b12480ef0ee4fc7ca29.html.